Original German article from Die Zeit online, 6th October 2015
Eine Expertenkommission stellt das Ende des Strom-Monopols fest: Eine Marktbeherrschung durch RWE & Co. findet nicht mehr statt. Sorgen um den Energiemarkt der Zukunft muss man sich trotzdem machen.
Noch vor vier Jahren galt der deutsche Energiemarkt weithin als ein Reich des Bösen: Ein paar Energieriesen teilten das Kilowattstunden-Geschäft untereinander auf, manipulierten angeblich sogar die Strompreise, unterdrückten jeden gesunden Wettbewerb.
Die Wettbewerbssituation auf dem Strommarkt sei "nach wie vor unbefriedigend", klagte noch im September 2011 die unabhängige "Monopolkommission", ein von der Bundesregierung berufenes Expertengremium: Die Konzerne E.on, RWE, Vattenfall und EnBW verfügten nach Berechnungen der Kommission allein über rund 80 Prozent der Stromerzeugungskapazitäten in Deutschland. Die deutsche Stromwirtschaft: ganz offensichtlich ein mächtiges Oligopol.
Jetzt allerdings hat sich das Bild grundsätzlich gewandelt: Die Monopolkommission hat sich den deutschen Energiemarkt erneut in einem Sondergutachten vorgenommen – und gibt umfassend Entwarnung: Obwohl die einst "große Vier" genannten Konzerne immer noch für 62 Prozent der konventionellen Stromerzeugung stehen, liege "derzeit keine Marktbeherrschung vor". Verschiedene Indexwerte zur Berechnung von Marktmacht seien "unproblematisch" beziehungsweise "unauffällig".
Nur noch 62 Prozent Marktanteil
Mit ihrem Urteil erklären die Wettbewerbshüter unter der Ägide des Bonner Wirtschaftsrechtlers Daniel Zimmer die Epoche der Energieriesen in Deutschland praktisch für beendet. "In den vergangenen Jahren wurden in puncto Wettbewerbsintensität große Fortschritte erzielt", bestätigt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) das Ergebnis der Bonner Wissenschaftler.
Der deutsche Strommarkt zeichne sich mittlerweile durch eine "große Akteursvielfalt" aus. "Im Schnitt konkurrieren pro Netzgebiet 80 Stromanbieter und 30 bis 50 Gaslieferanten um die Gunst der Kunden."
Zwar klingen die nominellen Marktanteilswerte noch immer beeindruckend: Da kommt RWE laut Monopolkommission weiterhin auf 21 Prozent, knapp gefolgt von E.on mit 15 Prozent und Vattenfall mit 13 Prozent.
Doch bezieht sich diese Prozentzahl stets nur auf die konventionelle Stromerzeugung – und die ist im Zuge der Energiewende insgesamt deutlich unwichtiger geworden. In Zeiten, da fast alle konventionellen Kraftwerke rote Zahlen schreiben und immer mehr Anlagen zur Abschaltung angemeldet werden, sagt ein Marktanteil von insgesamt 62 Prozent der "großen Vier" nicht mehr viel aus.
Ökolobby findet neues Feindbild
Der Bedeutungsverlust der "großen Vier" spiegelt sich bereits in der Rhetorik von Ökostrom-Lobbyisten wider. So reichte früher ein Hinweis auf die angeblich sinisteren "Interessen der Energiekonzerne" stets aus, um den ökologischen Mainstream der Bevölkerung für die eigenen Zwecke zu aktivieren.
Doch weil die bösen Riesen schon aufgrund ihrer zwergenhaften Aktienkurse fast nur noch Mitleid erregen, muss ein neues Feindbild her: So wird inzwischen zur Rechtfertigung und Letztbegründung ökologischer Forderungen nicht mehr das Feindbild der "Energiekonzerne", sondern nunmehr das der "Kohlelobby" beschworen.
Diese semantische Nachjustierung oder Neubewaffnung bedeutet allerdings auch eine Ausweitung der Kampfzone – denn zur Kohlelobby gehören nach dem Verständnis der Umweltgruppen nun auch direkt Arbeitnehmer, Gewerkschaften sowie Landes- und Kommunalpolitiker.
Kommission hält Klimareserve für unnütz
Doch auch nach dem Ende des Energie-Oligopols gibt die Situation auf dem deutschen Strommarkt Anlass zur Sorge. So stoßen etwa die Pläne des Bundeswirtschaftsministeriums für eine Neuordnung des Strommarktes bei der Monopolkommission auf erhebliche Kritik.
Der Vorschlag, für die Versorgungssicherheit eine Kapazitätsreserve einzurichten, sei mit "erheblichen Effizienzrisiken" verbunden, erklärte das Gremium. Die Reserve müsse "an enge Bedingungen" geknüpft, in der Größte beschränkt und nur temporär eingerichtet werden.
Das Wirtschaftsministerium von Ressortchef Sigmar Gabriel (SPD) hatte im September einen Referentenentwurf zum künftigen Strommarkt veröffentlicht. Darin ist eine "Kapazitäts- und Klimareserve" vorgesehen: Zum einen sollen Kraftwerke unabhängig vom Energieträger in Reserve gehalten und aktiviert werden, wenn es kein ausreichendes Stromangebot für die bestehende Nachfrage gibt.
Zugleich sollen separat mehrere Braunkohlekraftwerke in Reserve gehalten und nach vier Jahren ganz stillgelegt werden mit dem Ansinnen, das nationale Klimaschutzziel für 2020 noch zu erreichen. So werde der Ausstoß an Kohlendioxid im deutschen Stromsektor "substanziell verringert", heißt es in dem Entwurf.
Die Monopolkommission sieht es allerdings als problematisch an, aus umweltpolitischen Gründen Braunkohlekraftwerke für die Reserve zu nutzen. Dies führe zu hohen Kosten, habe aber "keine Auswirkungen" auf den Gesamtumfang des Ausstoßes an Kohlendioxid, der bereits durch den europäischen Emissionshandel vorgegeben sei.
Kritik an neuer Ökostrom-Förderung
Daneben setzt sich das Gremium kritisch mit dem Plan auseinander, die Förderung der erneuerbaren Energien umzustellen. So soll für die Produktion von Solar- oder Windstrom künftig keine gesetzlich fixierte "Einspeisevergütung" mehr gezahlt werden.
Stattdessen sollen sich Investoren ökologischer Kraftwerke künftig in einem Ausschreibungsverfahren um Fördergelder bewerben. Grundsätzlich werde das System dadurch "wettbewerblicher", findet die Kommission.
Sie lehnt es aber ab, die Ausschreibungen getrennt nach Energieträgern und bei Wind auch unterschieden nach Anlagen auf See und an Land vorzunehmen, wie es das Ministerium vorschlägt. "Technologieneutrale" Ausschreibungen würden demgegenüber "Wettbewerb zwischen Erzeugungstechnologien" entstehen lassen, argumentiert die Monopolkommission. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien würde dadurch effizienter, und "einem weiteren Kostenanstieg für die Verbraucher" könne entgegengewirkt werden.
Source text is from Die Zeit online, 6th October 2015: http://www.welt.de/wirtschaft/energie/article147303124/Das-Ende-des-Energie-Monopols-der-grossen-Vier.html
Das Ende des Energie-Monopols der "großen Vier"